Das Chladek®System: Tanztechnik und Lehrweise

Das Chladek®System ist ein Tanz- und Bewegungssystem, welches nach seiner Begründerin Rosalia Chladek (1905-1995) benannt ist. Die Basis dieser systematisierten Bewegungsarbeit liegt im Verständnis der anatomischen Gegebenheiten des Körpers und der auf ihn wirkenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Die Tanztechnik baut auf 3 Grundprinzipien von Bewegung auf, die zu einer klaren, umfassenden, zeitlosen und stilfreien Tanztechnik führen.

Die Lehrweise, die Methode der Chladek®Technik folgt einer bestimmten Pädagogik. Nicht das formale Erlernen einzelner Bewegungsabläufe steht im Vordergrund, sondern die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im und durch den Tanz und die Bewegung.

Namhafte PädagogInnen, ChoreografInnen und TänzerInnen sind im Chladek®System ausgebildet.

Die Künstlerin und Pädagogin Rosalia Chladek (1905-1995) hat diese besondere Tanztechnik in den 1930er Jahren entwickelt, in einer Zeit, in der sich viele TänzerInnen vom klassischen Ballett und seinen eingeschränkten Formen an Bewegung lösten, um ihrem eigenen Ausdruckswillen zu folgen. Sie war der Meinung, dass tänzerische Erziehung niemals eine einseitige Schulung bestimmter Fähigkeiten bedeutet, sondern die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im und durch den Tanz.

“Mir geht es von Anfang an darum, dem Menschen begreiflich zu machen, dass er ein Ganzes ist, sein Geist, seine Psyche und sein Körper…”
(aus: “Rosalia Chladek – Schriften & Interviews”)

Dieser Ansatz zeigt sich an der Grundfrage, auf der dieses Tanz- und Bewegungssystem aufgebaut ist: Wie wirken sich physikalische Gesetzmäßigkeiten auf die anatomischen Gegebenheiten des Körpers aus? Als Beispiel dafür lässt sich die Auswirkung der Schwerkraft auf den stehenden Körper nennen. Der Körper – Skelett und Muskulatur – besteht, vereinfacht ausgedrückt, aus zahlreichen Bausteinen. Je klarer diese Bausteine aneinander ausgerichtet sind, je ausgewogener sie entlang der Vertikal- und Horizontalachse orientiert sind, desto geringer wird jener Kraftaufwand, welcher für die aufrechte Haltung nötig ist. Für den Tanz, ebenso wie fürs tägliche Leben bedeutet dies die Möglichkeit, zusätzliche Energie für Bewegung zu gewinnen. Im Chladek®System wird der Bewusstmachung sowie dem bewussten Einsatz von Eigenenergie im Spiel mit der Schwerkraft unter dem Aspekt von Spannungsdifferenzierung viel Bedeutung eingeräumt. Die Auseinandersetzung mit veränderten Spannungszuständen eröffnet dem/der Tanzenden ein weites Feld an Bewegungsmöglichkeiten und ist darüber hinaus substantiell zur Steigerung der Ausdruckskraft im Tanz.

Das Ziel der Chladek®Technik bewegungsökonomisch zu arbeiten, also den effizientesten Einsatz von Muskelaktivität bei entsprechend geringem Energieaufwand zu finden wird sinnvoll ergänzt durch Arbeit am funktionellen und logischen Bewegungsverlauf im Körper. Dieser wird unterstützt durch das Erlangen jener Durchlässigkeit, welche Bewegungsfluss ermöglicht: Indem Bewegungen der Körpermitte bis in die Fingerspitzen wirken und umgekehrt die Auswirkungen von Bewegungen der äußersten Peripherie des Körpers bis in die zentrale Bereiche erspürt werden.

Das Chladek®System zeigt auf, dass alle Bewegungen, seien sie einfach und elementar oder komplizierte Abläufe, auf 3 Grundprinzipien zurück geführt werden können auf

  • Schwerpunktveränderungen (wo befindet sich der Körperschwerpunkt, wie wird er verändert)
  • Bewegungsansätze (welcher Körperteil/Körperbereich ist Initiator der Bewegung) und
  • das Körperverhalten (wieviel Kraft wird eingesetzt, bewegt sich der Körper als Ganzes oder nur in einzelnen Bereichen).

So ist das System logisch aufgebaut und bedient sich einer eigens entwickelten, eindeutig beschreibenden Terminologie. Dies schafft Klarheit über Bewegungszusammenhänge, bietet eine breite Basis für das Verständnis von Bewegung und schult die Fähigkeit zur Bewegungsanalyse – sowohl was die eigene Bewegung als auch jene von anderen betrifft. Die intensive Auseinandersetzung mit Eigen- und Fremdwahrnehmung wird gefördert und schafft zugleich die Grundlage für die pädagogische Arbeit auf dem Gebiet von Bewegung und Tanz.

Eine weitere Besonderheit des Chladek®Systems ist die Auseinandersetzung mit tanzgestalterischen Prozessen. Der künstlerisch-kreative Zugang im Tanz wird als ebenso wichtig wie die Schulung der Tanztechnik erachtet. So verbinden sich beide Bereiche optimal und führen zur eigenen Kreativität auf einer gut fundierten Tanztechnik.

Wesentliche Aspekte der Arbeit im Chladek®-System sind Methodik und Pädagogik. In der Lehrweise Chladek® geht es nicht um die Herstellung einer äußeren Form, sondern grundsätzlich um die holistische Entwicklung. Eigenes Erfahren, Erspüren und Entwickeln stehen an oberster Stelle. Die verschiedenen Ebenen, die mit dieser Arbeit angesprochen werden, greifen wie Zahnrädchen ineinander. Neben der analytischen Betrachtungsweise werden die Sinneswahrnehmungen stark angesprochen. Die Aufmerksamkeit für sich selbst und das Umfeld wächst.

Die/der Lehrende leitet den Unterricht mittels Stimme – gesprochenes Wort sowie stimmliche Bewegungsbegleitung – an. Einfaches Vorzeigen von Bewegung wird bewusst vermieden. Die Aufgabestellungen und Informationen gelangen nicht durch das Auge, sondern durch das Ohr in den Körper der/des Lernenden. Sie/er findet dadurch zu einer Weiterentwicklung ihres/seines individuellen Typus.

Aus der konsequenten Arbeit ergeben sich wiederholbare Erscheinungsbilder und Übungen, welche jedoch nicht als choreographierte Bewegungsabläufe gedacht sind, sondern immer wieder erneut erspürt werden sollen. Dies führt dazu, die Bewegungsprinzipien zu verinnerlichen und zu ihrer Ursprünglichkeit zurückzufinden. Letztendlich werden diese erfahrenen Prinzipien im Tanz genutzt und führen zur individuellen Bewegungssprache.

Durch die so im Chladek-System erlernten Fähigkeiten gelingt es rasch, eigene oder fremde Bewegung umzusetzen, zu verstehen und zu analysieren. Eine breite Basis zum Verständnis vom Ursprung von Bewegung wird geschaffen. Das Chladek®-System bildet somit eine umfassende tanztechnische Grundlage für den Zeitgenössischen Tanz sowie für andere Tanz- und Bewegungstechniken.

Tanzpädagogik im Sinne der Lehrweise Chladek bedeutet in gleichem Maße Bewegungs- und Wahrnehmungsschulung sowie Persönlichkeits-
entwicklung.

Wodurch kann dies erzielt werden?

Zum einen ist es der explorative Umgang mit Bewegung. Der/die Tanzende ist Forscher/in der eigenen Beweglichkeit, der individuellen Möglichkeiten sowie der anatomischen Gesetzmäßigkeiten des Körpers. Zum anderen ist es die Improvisation: der spielerische Zugang zum Tanz. In der freien Improvisation erleben Tanzende ihr individuelles Spektrum an Kreativität und Bewegungsvielfalt. In der Bewegung eröffnet sich uns der Raum, wir spüren unsere Kraft, die wir einsetzen und gleichzeitig Energie, die frei wird. Wir erleben Zeitlichkeit im Fluss der Bewegung sowie im Anhalten, im Beschleunigen oder Verlangsamen.

Exploration und Improvisation zur Bewegungs- und Wahrnehmungs-
schulung berühren das Innerste eines Tanzenden: Bewegung ermöglicht Wahrnehmung und diese wiederum ist begleitet von Empfindung. Im Tanz ist der Mensch gleichsam im Zwiegespräch mit dem eigenen Körper, dessen Empfindungen, Emotionen und Bedürfnissen. Das sensible Zusammenspiel zwischen Körper und Psyche wird bewusst und die Auseinandersetzung damit fordert die Persönlichkeit.

Rosalia Chladek beantwortete in einem Interview die Frage nach der grundlegenden Idee ihrer Lehrweise mit folgenden Worten: „Es geht mir nicht darum, einen speziellen Bewegungsstil zu vermitteln. Dadurch kann ich nicht zu mir selbst kommen, sondern ich bin dann nur jemand, der es gelernt hat, sich in einer bestimmten Art zu bewegen.“ (In Radrizzani, 2003: Rosalia Chladek. Schriften & Interviews. S. 133)

Tänzerische Bewegungserziehung nach der Lehrweise Chladek® macht Tanzende zu Erfindern ihres Bewegungsflusses, anstatt sie durch angelernte Bewegungsmuster einzuengen. Sie ermöglicht die Erfahrung, sich handelnd und reaktionsfähig zu erleben und mit allen Sinnen wach zu werden.

„Nicht nachschaffen, sondern neuschaffen, nicht zusammensetzen, sondern entwickeln“ und
„Dem inneren Erleben äußere Gestalt geben, dem Eindruck Ausdruck verleihen“ sind zwei Kernaussagen von Rosalia Chladek, die den Geist ihres Systems widerspiegelt. Eines der Ziele des Systems und der Methode Chladek ist die gestalterisch-schöpferischen Möglichkeiten des Menschen im Tanz freizulegen.

Schon in der Körperbildung soll nicht nur ein optimal funktionierender Körper entwickelt werden, sondern der Mensch in seiner psycho-physischen Ganzheit angesprochen werden.

Daher hat in dieser Methode das eigene Entdecken, Entwickeln und Erspüren der Bewegung über die Sinne einen großen Stellenwert, wodurch „[…] ein innerer Veränderungsprozess in Gang gesetzt wird, der zur Entfaltung und Erweiterung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten führt und den künstlerisch-gestalterischen Prozess angeregt.“

Das Vermitteln der Bewegung und des Tanzes über die verbalen Anweisungen und der immer neu gestaltete Unterrichtsprozess fördern bei den Studierenden eine hohe Präsenz und Klarheit in der Bewegung sowie die Entwicklung ihrer eigenen künstlerischen Tänzerpersönlichkeit unabhängig des Lehrervorbildes.

Der/die TänzerIn profitiert von dieser Pädagogik insofern, als er ebenfalls zu einer Selbstständigkeit geführt wird sowie zur Möglichkeit, sich jegliche technische Differenzierung an seinem Körper und in seiner Bewegungsweise aufgrund der Kenntnis der Gesetzmäßigkeit körperlicher Bewegung erarbeiten zu können.“
Im Gestaltungsunterricht wird die Entwicklung der tänzerisch-gestalterischen Fähigkeiten durch die Inspiration aus verschiedenen Kunstrichtungen (z. B. Skultpur, Material, Malerei, Musik, Natur, Literatur) oder aus dem eigenen Erleben gefördert. Die unterschiedlichen Anregungen erweitern das Bewegungsvokabular als auch die Ausdrucksmöglichkeiten des Schülers.

Dabei wird der Prozess aus der Improvisation zur Entwicklung der eigenen Gestaltung bis hin zur Sologestaltung und Choreografie unterstützt, „[…] wobei es auch hier um das Neuschaffen und nicht um die Wiederholung eines bereits absolvierten Ablaufs geht.“

Die SchülerInnen erlernen Möglichkeiten der Erarbeitung eigener Gestaltungen und Choreografien, „[…] die ihnen den Weg zu einem schöpferischen Tänzer oder Choreografen zeigen“.

Das Chladek- System verbindet in einzigartiger Weise den Ansatz der musikalisch-rhythmischen Erziehung mit einem äußerst differenzierten […] Ansatz der Körperbildung zu einem umfassenden Tanzausbildungskonzept.“ [1]

Ausgebildet in der Schule für Rhythmus, Musik und Körperbildung in Hellerau ist Rosalia Chladeks System entstanden aus der rhythmisch-musikalischen Bewegungserziehung von Emil-Jaques Dalcroze. Der Differenziertheit der Musik in Raum, Zeit und Kraft trägt das Chladek-System Rechnung in seiner Differenziertheit bezüglich Energie, Dauer, Richtung und Größe der Bewegung. Chladek hat eine Systematisierung mit einer klaren Terminologie geschaffen, die, ähnlich der Harmonielehre für die Musik oder der Grammatik für die Sprache, die Grundlage für eine schöpferische Tanzerziehung bildet.

Ein wichtiger Aspekt der Lehrweise und des System Chladeks liegt darin, selbst in der kleinsten Bewegung den Zusammenhang mit den musikalischen Faktoren zu erfahren. Die musikalische Qualität der Bewegung wird vorwiegend durch die stimmliche Begleitung bewusst gemacht. Das Hören der Bewegung gehört genauso zum Erleben der Bewegungsqualität wie die  stimmliche Begleitung der Bewegung durch den/die Lehrenden als auch die eigene stimmliche Begleitung der Bewegung.

So wird das musikalische Empfinden der Bewegungen, der Rhythmus der Bewegung, das Differenzieren der Taktarten entsprechender Bewegungen als auch ametrische Bewegungen im Verlauf der Ausbildung erfahren und bewusst gemacht, sodass die Tänzer*in / Tanzpädagog*in am Ende der Ausbildung sehr differenziert Bewegungen über den Rhythmus und die stimmliche Begleitung hervorrufen kann.

Im gestalterischen Prozess wird über das Thema der Musikinterpretation das musikalische Verständnis geschult, da es um das Erfassen der Musik durch die Bewegung geht. Darin gilt es die musikalische Form, die Qualität der Musik, die Harmonie und Disharmonie, die Melodie, die Taktart gestalterisch zu erfassen und adäquat umzusetzen. Aber auch die Intentionen des Komponisten, die sich im Charakter und der formalen Struktur widerspiegeln, sollen gestalterisch in der Bewegung erfasst werden.

[1]          Aus: Beispiel einer Hausarbeit, Technische Universität Darmstadt

Im Chladek®System steht die Bewusstwerdung der eignen Anatomie und der physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die im und auf den Körper wirken, im Vordergrund. Dadurch kommt es zu einer individuellen Ausarbeitung und Ausformung der Übungsbeispiele und Bewegungsaufgaben anhand der Grundprinzipien (Körperverhalten, Bewegungsansatz, Gewichtsverlagerung), die ein Erlernen des Chladek®Systems für alle Menschen – unabhängig von den mitgebrachten körperlichen Voraussetzungen – ermöglicht.

Das selbstständige und selbstverantwortliche, achtsame Erlernen und Erfahren von Bewegung fördert die Gesundheit, indem es die eigenen körperlichen Möglichkeiten einerseits bewusst werden lässt, diese respektiert aber auch gleichzeitig erweitert. Dies führt grundsätzlich zu einer Vergrößerung des eigenen Bewegungsspiel- und Umraumes und zu einer bewussteren und funktionelleren Ausführung von Bewegungen allgemein.

Beispiele aus dem Prinzip Körperverhalten:

Aktivität und Passivität:
Aufspüren von Über-, Ver- und Unterspannungen im Körper → Ausgleich durch Wahrnehmung und bewusstem Einsatz und Üben unterschiedlicher Spannungszustände im Körper (z.B. totale Passivität/Schwere oder maximale Muskelspannung/Aktivität erfahren)

Durchlässigkeit und Fixierung:
Das Erfahren und Erlernen der Funktion von Gelenken → durch unterschiedliche Spannungen in der Muskulatur kommt es zu einer bewussten Fixierung oder Durchlässigkeit in den einzelnen Gelenken bis hin zum ganzen Körper.

Der gesundheitliche Aspekt wird in der Ausbildung durch folgende Fächer gefördert:

  • Körperbildung und Bewegungslehre: praktisches Erfahren der eigenen Anatomie, den Prinzipien, der physikalischen Gesetzmäßigkeiten und das Erkennen von Bewegungsansätzen und dem Verlauf von Bewegung im Körper, Bewegungsanalyse
  • Anatomie und Bewegungslernen: theoretischer und angewandter Unterricht
  • Theorieunterricht: begleitende theoretische Aufarbeitung zum praktischen Unterricht in den Fächern Körperbildung und Bewegungslehre
  • Zusatzmodul Tanzpädagogik: Vertiefung der Bewegungsanalyse und Methodik, um einen körpergerechten Unterricht geben zu können.